Der Besuch der alten Dame

Vorstellung/Theater: Das Theater an der Effingerstrasse

Premiere: 30.10.2021

Draussen ist nass und kalt. Drinnen ist’s gemütlich warm und belebt. Nach souveränem Covid-Check-in und ein paar Stufen landet man im vor Aufregung knisternden Theatersaal.

«Der Besuch der alten Dame». Wer kennt’s nicht. Die milliardenschwere Dame, die in ihre Heimatstadt zurückkehrt. Man hat altbekannte Bilder im Kopf. Alexander Kratzer fühlt sich ihnen keineswegs verpflichtet. Der Dürrenmatt’sche Klassiker könnte kaum jünger und frischer aufgeführt werden. Nicht weil die eingesetzten Handpuppen an die eigene Kindheit erinnern oder der Auftritt der alten Dame, dem von Marry Poppins erstaunlich nahe kommt. Nein, die schlichte Ästhetik des Bühnenbilds, die aktuelle Verortung der Themen und die Integration z.B. moderner Körper-Prothesen sind angenehm zeitgemäss. Die Zeit vergeht dabei wie im Flug, wobei das Publikum in der ersten Hälfte deutlich geführter durch die Geschichte geht als nach der Pause.

Mit einfachen Requisiten, verschiedenen Masken, Puppen und zwei Schauspielern:innen, wird das Dorf in seiner Lebhaftigkeit und gleichzeitigen Verwahrlosung spürbar repräsentiert. Komisch… plötzlich trägt das Publikum wieder keine Masken und die Darsteller:innen schon. Die beiden Hauptcharakteren spielen masken- und puppenlos. Dazu wird eine Prise moderne Technik gekonnt eingesetzt. Stimmungsvolle Musik (Band) oder Live-Videoaufnahmen schaffen weitere Dimensionen innerhalb des Kellertheaters (Live-Kamera-Aufnahmen werden immer beliebter auch in der Bühnenkunst. Gibt dem Publikum das Gefühl um Ecken zu sehen um die es eigentlich frontal nicht sehen könnte. Wird zB. auch in «Interviews mit fiesen Männern» im Schiffbau in Zürich gekonnt eingesetzt).

Die Schauspieler:innen legen zweieinhalb Stunden überzeugende Sprechzeit hin. Katharina Halus zeigt Flexibilität in Präsenz und Stimme, diese macht es ihr möglich sich innerhalb von Sekunden vom trägen Bürgermeister, in den provokanten Polizisten zu verwandeln. Tobias Krüger erfüllt mit seiner Stimme den ganzen Raum, egal ob als Echo eines anderen Charakters oder als eine verbitterte Seele aus dem Dorf. Melanie Herbe überzeugt in der Hauptrolle als alte Dame welcher sie eine starke Dynamik erteilt. Eitel, kräftig und nicht unterzukriegen. Hannes Perkmann, verkörpert seine Rolle, als Dorfkrämer und ehemaliger Liebhaber, auf den Punkt. Die Verzweiflung und Traurigkeit wird hin und wieder von kleinen Hoffnungsschimmern abgelöst bevor sie dann dem Wahnsinn weicht.

Von fast eingeschlafen (1) bis ich will nochmal (5): Aufgrund der hohen Bekanntheit des Stücks ist es schwierig die Erwartungen hoch anzulegen und halten. Mit wenig Erwartungen rein, ging ich beschwingt und überraschend inspiriert aus dem gefüllten Saal heraus. Um die Kenntnis einer modernen Art des Puppentheaters reicher, frischte sich meine Erinnerung an diese altbekannte Geschichte auf. Alexander Kratzer hat dieses Stück neu, anders und passend auf die Berner Bühne gebracht. Mit guter Begleitung würd ich definitiv nochmals gehen (4).

Würde ich es meinem:er Nachbar:in empfehlen? Und wie. Für Kenner:Innen steht sicherlich die Andersartigkeit der Inszenierung im Mittelpunkt, während es für Theater-Laiinnen angenehm ist, einer bekannten Geschichte folgen zu können bei der Begegnung mit modernem Theater.

Geeignet für: Profis, Laiinnen, Schulklassen, Interessierte

Das Theater an der Effingerstrasse
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